Was kann die Natur uns sagen?

Edinburgh, 04.02.2023 | James Clegg

In unserem Zeitalter der Umweltkrisen muss dies die wichtigste Frage überhaupt sein, die wir stellen können. Aber um zu verstehen, was es bedeutet, sie zu stellen, sollte man sich zunächst mit dem Werk von Lois Weinberger (1947-2020) befassen.

Wir wissen instinktiv, dass es einen großen Unterschied zwischen logischem Denken und ökologischem Denken gibt; man sehe nur den Schaden, den der Drang des Ersteren, die Welt in eine Maschine zu verwandeln, verursacht hat. Aber nur wenige Künstler oder Denker konnten im anderen Raum der Ökologie arbeiten und eine Seinsweise reflektieren, die wirklich von Grund auf (radikal), unmöglich (soweit das moderne Denken betroffen ist) und divers (unrein, korrumpiert, hybrid) ist.

Weinberger / macht.

Nehmen wir beispielsweise die Serie Portable Gardens.

1994 realisierte Weinberger diese Arbeit als einen Garten mit Spontanvegetation, angelegt in früher mit der Prekarität der Immigrationserfahrung assoziierten rot und blau karierten Kunststofftaschen. Damals wollte er unsere Verwendung dieses Materials hervorheben – und er hatte eine typisch irritierende Beziehung dazu. Er fand es wunderbar praktisch und bunt (die Eigenschaften, die es Materialien erlauben, sich in der modernen Welt auszubreiten). Jetzt, fast dreißig Jahre später, inszeniert Franziska Weinberger – seine Partnerin und Mitarbeiterin, die in seinem Geist weiterarbeitet –  neue Versionen mit recycelten Plastikeimern, um nicht noch mehr konventionelles Plastik in die Welt zu bringen. Eine sehr angemessene Entwicklung für eine Praxis, die aus Gründen, denen wir uns gleich zuwenden werden, die Idee ablehnt, dass irgendein bestimmtes Material die Antithese der Natur wäre.

Sowohl in den auf lange Sicht angelegten Zielen des Projekts als auch in seiner Evolution zeigt uns Portable Garden, dass die Natur provisorisch ist (arrangiert und in der Gegenwart existent) und dass Pflanzen ständig die Wirklichkeit, in der sie existieren, neu erfinden (durch, wie Emanuele Coccio es formuliert, ein „restloses Eintauchen in eben die Materie, die sie unentwegt gestalten“[1]). Pflanzen (die das Erdreich überhaupt erst erschaffen) benötigen keine Einladung zum Existieren.

Dann der Widerspruch (das Unmögliche) von Weinbergers Titel Portable Garden. Die indoeuropäischen Ursprünge des Wortes „gärtnern“ bedeuten „greifen, einhegen“. Hinsichtlich des Verstehens oder physisch Haltens ([be]greifen) und der Notwendigkeit eines Territoriums (Einhegung) bricht Weinbergers Praxis in ihrer Tragbarkeit die Regeln einer Tradition, die davon besessen ist, zu besitzen und abzugrenzen. Und – wie bei seiner berühmten Arbeit für die documenta X, Das über Pflanzen ist eins mit ihnen (1997) –  stellen wir fest, dass Ideen über die Natur soziale und politische Vorurteile widerspiegeln können. Der Glaube an eine „unberührte Wildnis“ (eine reine, schöne, ursprüngliche Natur) geistert in Einstellungen zum Naturschutz herum[2] und neigt dazu, Xenophobie nachzuahmen: Eine Angst vor fremden Elementen, die für eine Umgebung als nicht passend angesehen werden. In Weinbergers Werk erweist sich die Natur als die ultimative Migrantin, die sich ständig in alles integriert, einschließlich des sogenannten „Menschengemachten“.

Wild Cubes sind Weinbergers Einfriedungen: Metallkäfige, die Menschen aussperren und es der Natur erlauben, das zu tun, was sie tut. Während er sich manchmal Einfriedungen widersetzt, verwendet er natürlich seine eigenen, um die endlose Widersprüchlichkeit der Natur zu zeigen. Wie er schreibt:  „Es gibt ein Außen und ein Innen / dessen Schnittstelle jedoch durch die Wahl von Gitterstäben durchlässig ist – ein grenzenloses Haus für Lebewesen – so wird die Aufforstung dem Wind / den Vögeln / den ohnehin in der Erde befindlichen Samen überlassen bleiben.”[3] In diesem scheinbar abgetrennten Raum finden wir immer noch die grenzenlose Kreativität der Natur.

Wenn wir fragen, „Was kann die Natur uns sagen?“, sollte uns – wenn wir Weinberger folgen – klar sein, dass wir letztendlich einfach mit uns selber sprechen werden. Die Natur wird uns keine Antworten offenbaren, denn die Logik von Antworten gehört zu einer anderen Ordnung als die der Ökologie der Natur. Aber wie wir sehen, wenn wir Bilder von Weinberger in der Ödnis betrachten, sind wir bereits in einer Natur angekommen, die ständig alles überall neu erfindet.

James Clegg, Direktor, Talbot Rice Gallery, University of Edinburgh, College of Art
Übersetzung: Wilhelm Werthern, Zweisprachkunst

[1] Coccia, Emanuele (2019) Die Wurzeln der Welt, Hanser Verlag, München, S. 25
[2] Marris, Emma (2011) Rambuctious Garden: Saving Nature in a Post-Wild World, Bloomsbury, London.
[3] Weinberger, Lois (2013) ‘Wild Cube’, in Lois Weinberger, Hatje Cantz Verlag, Ostfildern, p. 196.